Multimodale Rückenschmerzbehandlung
Tiefenpsychologische Schmerztherapie. Schmerz als biopsychosoziales Geschehen.
Schmerz ist immer ein subjektives psychosomatisches Phänomen, welches sich nicht ausschließlich naturwissenschaftlich erklären lässt. Dementsprechend lautet die Definition der Internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes – International Association for the Study of Pain (IASP) - folgendermaßen:
„Die emotionale Komponente bei Schmerz wird gleichberechtigt neben die sensorische gestellt. Eine Gewebsschädigung ist weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung für Schmerz. Schmerz ist ein subjektive Empfindung, der oft objektivierbare periphere Läsionen im Sinne einer Reizauslösung fehlen. Dem an Schmerz Leidenden gibt dieser Auskunft über seinen augenblicklichen inneren Zustand.
Schmerz hat somit eine motivational-emotionale Komponente, d.h. er wirkt als ein Antrieb, um etwas unangenehm Erscheinendes zu vermeiden. Dies bedeutet, dass die Entstehung von Schmerz unter Einbezug der Psychophysiologie von Antrieb und Gefühl verstanden werden muss. Die subjektive Empfindung Schmerz ist zwar häufig eine Folge der Aktivierung des nozizeptiven Systems, aber nicht jede Erregung von Nozizeptoren ist von Schmerzen gefolgt. Umgekehrt können Schmerzen auch ohne eine Erregung von Nozizeptoren auftreten.. Durch diese biochemischen Reaktionen werden selbstverständlich Emotionen und Affekte induziert, was medikamentös artifiziell induziert werden kann. Wenn Schmerz empfunden wird, werden eine Fülle von Neurotransmittern, ausgeschüttet.
Aus der allgemeinen Muskellehre (Myologie) wissen wir, dass jeder noch so kleine Muskel auf einen Reiz (mechanischer, elektrischer, chemischer Art) oder auf einen von den entsprechenden Gehirn- oder Rückenmarkszellen ausgesandten Impuls hin " zündet ", das heißt sich zusammenzieht und sich verkürzt, um den Gesamtorganismus oder Teile davon in Bewegung zu bringen. Mittels der Veränderung der Wahrnehmung und Empfindung und des Bewusstseinszustandes kann das Phänomen Schmerz also gesteuert werden.
Die Schmerzbewertung kann daher als die erkennende oder kognitive Komponente des Schmerzes bezeichnet werden. Die unmittelbaren Konsequenzen von Schmerz bestimmen mit, ob der Schmerz bestehen bleibt, verschwindet oder wiederkommt. Operantes Lernen im Zusammenhang mit Schmerz bedeutet, dass positive (verstärkende) oder negative (bestrafende) Konsequenzen das vorausgegangenen Schmerzverhaltens erhöhen oder erniedrigen können.
Das menschliche Gehirn ist in der Lage, auch wenn keine Gewebeverletzung vorliegt, Schmerz zu erzeugen. Diese üblicherweise chronischen Schmerzen werden allgemein psychogen genannt. Psychogener Schmerz heißt ein Schmerz, der vornehmlich vom Gehirn hervorrufen oder unterhalten wird. Besonders deutlich lässt sich dieses Phänomen beim so genannten Phantomschmerz studieren. Der Fuß ist amputiert worden, der Betreffende hat aber massive Schmerzen und andere Empfindungen in dem Fuß, der nicht mehr vorhanden ist.
Der chronische Schmerz hat immer auch eine tiefenpsychologische Bedeutung. Man muss gemeinsam mit dem Patienten die jeweilige subjektive Bedeutung des chronischen Schmerzes herausfinden.
Es können hinsichtlich der Genese der Schmerzen drei verschiedene Subgruppen chronischer Schmerzpatienten unterschieden werden: Man unterscheidet vornehmlich organisch bedingte chronische Schmerzen mit sekundär psychischen Veränderungen (das kann man den "somatopsychischen Schmerz" nennen); ein zeitliches Zusammenfallen emotionaler Probleme mit Schmerz; den psychogenen Schmerz, evtl. mit sekundären organischen Veränderungen.
Entwicklungspsychologisch werden alle Affekte anfangs als körperliche erlebt. Den Affekten bleibt selbstverständlich zeitleb
ens eine somatische, also körperliche Begleitkomponente erhalten, die auf diese primäre Beziehung zwischen Affekt und Vegetativum
verweist. Man spricht hier tiefenpsychologisch von sogenannten "vegetativen Korrelaten". Diese Desomatisierung der Affekte kann primär unzureichend sein oder man entwickelt eine sekundäre
Resomatisierung. Das vegetative Phänomen vertritt dann den Affekt, es steht stellvertretend für ihn.
Der psychogene Schmerz kann unbewusst der Abwehr unerträglicher Gefühle und Konflikte dienen. Unbewusst wird hierbei der seelische Schmerz - so zum Beispiel Trauer - verdrängt, und dann in ein eher körperlich erscheinendes Geschehen verschoben. Der primär vornehmlich seelische Schmerz wird als vornehmlich körperlich erscheinender Schmerz dargestellt, weil er durch Worte nicht benannt werden kann oder darf. Der Schmerz erlaubt unbewusst eine Orientierung auf ein Symptom, so dass der ursprünglich quälende Affekt nicht mehr im Vordergrund steht. Bei chronischen Schmerzen kann man allgemein davon ausgehen, dass die Betroffenen im wahrsten Sinne des Wortes ihre Aggressionen zurückhalten. Mit dem Konzept des Narzissmus kann man den psychogenen Schmerz dahingehend interpretieren, dass bei dem Betroffenen auf eine unbewusste Art und Weise die Selbstwertregulation unstimmig ist. Hier dient der Schmerz der Vermeidung eines generalisierten psychischen Zusammenbruchs und kann somit als ein misslungener "Heilungs- und Rekonstruktionsversuch" angesehen werden.
Auf einer unbewussten Ebene kann sich ein Mensch mit chronischen Schmerzen unbewusst permanent gekränkt fühlen, weil er sich von seinem eigenen inneren Bild her, also von seinem eigenen Ich-Ideal her, nicht gefällt.
Zur Veranschaulichung wird die Darstellung einer interdisziplinären, multimodalen Schmerztherapie auf tiefenpsychologischer Grundlage gebracht; ein Fallbeispiel bei der auch edukative Vorgehensweisen eine wichtige Rolle spielen. Nur eine interaktive Vorgehensweise mit verschiedenen Therapiemethoden kann den chronischen Schmerzpatienten gerecht werden.