Rückenschmerzen hat jeder einmal. Jeder meint, dass sei eine "rein" körperliche Erkrankung. Diese Reinheit gibt es nicht; denn was wären wir ohne unseren Körper?! Wären wir dann der reine Geist? Nein, jeder Schmerz ist nur mit Hilfe eines biopsychosozialen Wissenschaftsmodells erklär- und therapierbar. Man verhext sich selbst mit seinem Hexenschuss!
Der eigene Rücken entzieht sich der Sichtbarkeit. Er umfasst die grösste Fläche am menschlichen Körper zwischen Genick und Gesäß, Schultern und Hüfte. Allgemein repräsentiert der Rücken oftmals die Kehrseite, also die negative Seite der Dinge. Man kehrt jemandem den Rücken zu, heißt soviel wie, sich von jemandem abwenden, ihm nicht mehr zugewandt sein. Der Rücken gilt auch allgemein - in Verbindung mit dem Gesäß - als die eher unschöne Kehrseite. Der Rücken repräsentiert aber auch unsere verletzliche Seite. So wird beispielsweise im Lindenblattmotiv der Siegfriedsage der Rücken zum Ort der Verletzbarkeit, der die Hinfälligkeit des irdischen Leibes markiert. So werden wir hinterrücks überrascht und betrogen. Allerdings heißt es auch „ein schöner Rücken kann auch entzücken! Der Rücken ist auch ein Kommunikationsorgan. Für den Menschen sind der Rücken und die Lumbalregion der visuellen Kontrolle entzogen. Das könnte ein entwicklungspsychologischer Grund dafür sein, dass der Rücken sich als besonders geeignetes Projektionsfeld für Konflikte anbietet. Davon zeugen nicht nur die an das Kreuz (Os sacrum, was soviel wie „Heiliger Knochen“ bedeutet) geknüpften biblischen Assoziationen wie "Leid, Qual, Mühsal", sondern auch Redewendungen, etwa die Betonung der aufrechten Haltung ("Rückgrat raus!"), die Verkörperlichung von Selbstbehauptung ("Rückgrat haben", "einen breiten Rücken haben"), die Bedrohung des Selbst ("mit dem Rücken zur Wand", "dem wurde das Kreuz gebrochen") oder aber eine übertrieben opportunistische Anpassung ("katzbuckeln", "zu Kreuze kriechen").
Der Rücken zeigt deutlich, wie man sich fühlt
Mit dem Rücken lassen sich bestimmte Bewegungen ausführen, wie beugen, wölben, recken, zusammensacken und schlängeln, die kommunikationsrelevant sind. Es gibt Körperausdrücke, die angeboren sind, z.B. Dominanz und Demutshaltungen. Innere Haltung und körperlicher Ausdruck sind so miteinander verbunden, dass sich das eine nicht vom anderen trennen lässt. Sie beeinflussen sich gegenseitig. In der fernöstlichen Sichtweise kommt das durch die Redewendung: „Ich bin mein Körper“ statt „Ich habe einen Körper“ zum Ausdruck. Dies drückt deutlich aus, dass körperliche Verkrampfung die Folge von seelischer Verkrampfung sein kann und umgekehrt. Auch wenn jemand nicht verbal spricht oder antwortet, so „spricht“ doch sein Körper, ohne dies unterdrücken zu können.
In der Sprache des Rückens drückt man es folgendermaßen aus: „den Rücken steif halten“, „etwas den Rücken kehren“, „erhobenen Hauptes“, „sich etwas beugen“, etc. Die verschiedenen Körperhaltungen bringen entsprechend der jeweiligen Situation etwas zum Ausdruck. Bei der Körperhaltung mit einem Neigen nach hinten: Diese Haltung wird durch die Ausdehnung des Oberkörpers in Verbindung mit der Atmung bewirkt. Im positiven Sinne drückt das Neigen nach hinten ein Kraftgefühl und allgemein eine Unternehmungslust aus. Wird diese Haltung jedoch als „sich brüsten“ gedeutet, weist sie auf einen prahlerischen, überheblichen Menschen hin, was in der soldatischen Ausbildung genutzt wird. Hier wird eine disziplinierte, stramme Haltung trainiert, um die Soldaten aggressiver wirken zu lassen. Zusätzlich wirkt der Mensch durch das Aufrichten größer und demonstriert damit Dominanz.
Alles was hängt, sieht traurig aus
Bei der Haltung mit Neigen nach vorne handelt es sich einerseits um eine Demutsbezeugung. Zum anderen symbolisiert das Insichzuusammensinken, indem Luft abgelassen wird, eine Einbuße an „Kraft und Lebensgefühl“. Der Körper wirkt kleiner und verliert seine Dominanz. Dieses „Sichhängenlassen“ kann auf ein schwaches Selbstgefühl, Passivität, Resignation oder Lebensangst deuten. Schließlich kann der gekrümmte Rücken auch die Bedeutung einer Schutzhaltung, ähnlich der Einrollbewegung des Igels haben. Indem die Schultern hochgezogen werden, der Rücken leicht gekrümmt und der Kopf eingezogen wird, schützt der Mensch fremdreflexartig seine Halsschlagader. Diese Haltung nimmt der Mensch nicht nur bei drohender äußerer Gewalttätigkeit ein, sondern auch in Situationen, die ihm Angst machen. Depressive Patienten haben eine hängende, lustlose Haltung, manische Patienten sind wachsam und aufrecht. Das Vorneigen des Oberkörpers zeigt Annäherung auch im übertragenen Sinn und Interesse. Mit einem zurückgeneigten Oberkörper wird ausgedrückt, daß man sich distanzieren möchte, desinteressiert ist oder Entspannung sucht. Jemandem den Rücken zuwenden drückt ganz eindeutig Ablehnung aus. All diese Phänomene können zu konstitutiven Haltungen werden; sie werden sogar zu einer Charakterhaltung, die sich körperlich manifestiert. Charakterhaltung und Körperhaltung sind somit oft identisch. Somit kann sich mittels des Rückens ein verinnerlichter Konflikt darstellen. Tiefenpsychologisch interpretiert ist aus dem Konflikt zwischen dem Kind und seinen sozialen Bezugspersonen der internalisierte - also verinnerlichte - Konflikt zwischen dem Ich und dem Über-Ich (Gewissen) geworden. Die Verbote erfolgen nicht mehr von außen, sondern von innen. Rückenschmerzen können als Ausdruck eines solchen inneren Konfliktes und somit grundsätzlich als Psychosomatosen angesehen werden. Bei Psychosomatosen haben wir es mit starren inneren Strukturen zu tun, die Ausdruck erheblicher und massiver innerpsychischer Spannungen sind. Erreichen solche Spannungen ein ausreichendes Maß, dann entsteht im Ich ein charakteristisches Spannungsgefühl, das nachhaltig auf Beseitigung des Konfliktes drängt: den Angstaffekt, der sich als erhöhter Muskeltonus darstellen kann.
Chronischer Rückenschmerz ist eine Psychosomatose
Chronischer Rückenschmerz kann als Ausdruck einer Dysfunktion körperlicher und psychischer Regulationsprozesse verstanden werden. Der Schmerz signalisiert, daß eine Funktionsstörung stattfindet und appelliert an die hierarchisch höher liegenden Funktionsebenen, im Sinne einer Gegensteuerung etwas zu tun oder etwas zu unterlassen, was die Funktionsstörung aufrecht erhält. Chronische Schmerzzustände haben z.b. eine besonders nachhaltige Wirkungen auf das motorische System (zum Beispiel eine Schonhaltung). Es gibt jedoch auch Zusammenhänge zwischen Schmerz und Motorik in umgekehrter Wirkungsrichtung: Pathophysiologische Vorgänge im Bereich des Bewegungssystems können über abnormale Muskelspannung zur Erregung der Nozizeptoren führen und dadurch Schmerzen verursachen (z.b. Fehlhaltungen oder emotionale Belastungen wie Angst und Stress). Schließlich kann durch Überlagerung der beiden entgegengesetzten Wirkungsrichtungen ein „Teufelskreis“, ein Circulus vitiosus entstehen. Chronischer Schmerz führt zu gestörter Motorik und motorische Fehlsteuerung. Das „algogene (schmerzbedingte) Psychosyndrom“ ist durch vegetative Störungen und depressive Verstimmung gekennzeichnet. Vom Betroffenen wird das subjektiv als Leistungseinschränkung und „allgemeines Kranksein“ erlebt. Die Zentren, die Sympathikus und Motorik steuern, sind koordiniert. Bereits die Absicht, eine motorische Bewegung auszuführen, löst die Kopplung beider Systeme aus. Es kommt zu einer Bereitstellungsreaktion im Sinne einer sympathischen Aktivierung, wie sie beispielsweise in Extremsituationen stattfindet (also der konditionierten Notfallreaktion). Bei Schmerzen, die durch psychische Einflüsse ausgelöst oder verstärkt werden, wirken motorische und sympathische Fehlsteuerungen zusammen. Chronische Schmerzen, für die kein ausreichend erklärungskräftiger Organbefund gewonnen werden kann, also das ganze Spektrum chronischer Rückenschmerzen und vielerlei Schmerzen des Bewegungsapparates, haben durchaus eine Hinweisfunktion, die man in diagnostischer wie therapeutischer Hinsicht beachten muß. Tut man dies nicht und behandelt diese Schmerzen nur symptomatisch, so ist dies zumindest längerfristig zum Scheitern verurteilt: Die Schmerzen setzen sich immer wieder durch.
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L. Baur (Donnerstag, 05 Februar 2015 02:38)
Seit Jahren leide ich unter furchtbaren lebenseinschränkenden Rückenschmerzen. Kein Arzt kann mir wirklich helfen. Einzig Unmengen an Schmerzmitteln bekomme ich verschrieben, die mir letztendlich nicht helfen.
Gibt es auch Seminare für Rückenschmerzpatienten?
K. Hoch (Montag, 16 Februar 2015 08:06)
ein sehr guter Artikel über die vielfältigen Ursachen der Rückenschmerzen. So sollte in der ärztlichen Praxis behandelt werden. Viel Leid bliebe uns Patienten erspart und wir würden in großem Maße von unseren chronischen Schmerzen befreit und nicht mit Schmerzmittel überfrachtet, die noch mehr Schaden und Leid anrichten..